Der Begriff Heteronormativität stammt aus der Queer Theory und beschreibt die Annahme, dass es ausschließlich zwei gegensätzliche Geschlechter gibt, die sich gegenseitig sexuell begehren. Die normative Zweigeschlechtlichkeit und normative Heterosexualität gehen mit Privilegierungen und Marginalisierungen gegenüber Menschen einher, die ein (nicht-)heteronormatives Geschlecht oder Sexualpraxen leben.
Die Möglichkeit, Heterosexualität (und Zweigeschlechtlichkeit) als diskursive Erfindung zu denken, und ihre Naturalisierung und Institutionalisierung zu ergründen, wurde maßgeblich von der Machtanalyse des Philosophen Michel Foucault ermöglicht: Er schreibt in „Geschichte der Sexualität“ (1983), dass Sexualität als „Wissen vom Sex“ hervorgebracht wird, und begründet damit ein Verständnis von Normverhältnissen, in denen Macht verkörpert wird.
Der Begriff Heteronormativität wurde erstmals von dem Autor Michael Warner in seinem Aufsatz „Introduction: Fear of a Queer Planet“ (1991) verwendet. Darin bezeichnet er das Konzept Heteronormativität als Kritik an einem heterosexuellen Normalisierungsregime. Die ‚Natürlichkeit‘ von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität sei unhinterfragt, bedürfe keiner Legitimierung und sei selbstverständliches Alltagswissen. Als Grundform der sozialen Organisation von Gesellschaft sei diese „Hetero-Kultur“ in den meisten gesellschaftlichen Praxen und Institutionen verankert.
Dieses Dispositiv durchzieht individuelle Handlungsweisen und wird durch gesellschaftliche Strukturen institutionalisiert. Seine Wirksamkeit ist auf sozialer, kultureller und juristischer Ebene am höchsten. Um die Bedeutung und die Selbstverständlichkeit der Naturalisierung von heterosexueller Paarbildung als Grundlage aller sozialen Beziehungen zu veranschaulichen, können Diskurse über Familie, Erziehung und Nation herangezogen werden, in denen diese Norm eingeschrieben ist.
Aus der Normalisierung von heterosexuellem Begehren und Zweigeschlechtlichkeit folgt eine Konstruktion von Homo- und Bisexualität sowie Trans- und Intergeschlechtlichkeit als Abweichungen. Nicht-heterosexuelles Begehren gilt als deviant und nicht-normative Geschlechtsidentitäten werden als illegitim bezeichnet. Daraus resultierende Ausgrenzungspraxen sind Homo-, Bi-, Trans*- und Inter*feindlichkeit. Diese sind in westlichen europäischen Kulturen entstandene historisch-kulturelle Konstruktionen, die durch Kolonialisierung in anderen Communities gewaltvoll verbreitet wurden.
Das Konzept ist also unabdingbar mit der Zeit der ‚Aufklärung‘ und der Schaffung ‚moderner‘, auf Ausbeutung und kolonialen Denksystemen basierender Nationalstaaten im „Globalen Norden“ verbunden. Eine politisierte Definition von Heteronormativität kann daher als herrschafts- und machtkritisches Konzept sowohl zur Analyse als auch zur Intervention in gesellschaftliche Ungleichheiten genutzt werden.
Die Konstruktion und Aufrechterhaltung des Systems der Heteronormativität wird von den Subjekten selbst getragen. Die Normeinhaltung ist überlebenswichtig, weil den Subjekten ansonsten Gewalt oder andere Sanktionen drohen. In dieser Hinsicht ‚normal‘ zu sein, hat in einer Leistungsgesellschaft eine hohe Attraktivität und wird zum Glücksversprechen.
Ein Beispiel für heteronormative Diskriminierung ist, dass tatsächliche Lebensrealitäten von lsbtq*i+ Personen wenig kulturelle Repräsentation erfahren, während in der medialen Berichterstattung über sie oftmals ein Fokus auf ihrer normabweichenden, also ‚anderen‘ Sexualität oder Geschlechtsidentität liegt.
Wenn Bildung zu Geschlecht und Sexualität heteronormativitätskritisch sein soll, sind Antidiskriminierung und Empowerment wichtige pädagogische Ziele. Zum Teil werden im Bereich Gender Mainstreaming unter den Labeln „Vielfalt“ und „Diversity“ Strategien gefasst, die auf einer Definition von Heteronormativität als „toleranzpluralistisches Integrationskonzept“ beruhen, die weder macht- noch herrschaftskritisch ist. Damit ist gemeint, dass nicht-heteronormative Identitäten und Lebensweisen nicht mehr pathologisiert oder verworfen werden, sondern als ‚andere‘ und bisher ausgeschlossene Minderheitengruppe integriert werden.
Da eine bloße Pluralisierung geschlechtlicher und sexueller Ausdrucksweisen aber nicht dazu führt, dass Geschlechter- und Sexualitätskonzepte weniger zweigeschlechtlich oder heterosexualisiert erfahren werden, sollte auch die gesellschaftliche Hervorbringung und Hierarchisierung verschiedener Lebensweisen auf kritisch-dekonstruktive Weise in den Blick genommen werden. Dazu gehört auch, dass Strukturen, die Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als Normen setzen, und Gewalt und Diskriminierung gegen LSBTQ*I+ legitimieren oder nur begrenzt sanktionieren, ent-verselbstständlicht werden.
Zwar kann es keine vollkommene Vermeidung der Reproduktion heteronormativer Strukturen geben, weil es kein Außerhalb der normativen Macht gibt, idealerweise wird aber die vielfältige gesellschaftliche Realität sichtbar, sodass queere Menschen sich nicht mehr erklären oder legitimieren müssen, und unterschiedliche sexuelle und geschlechtliche Lebensweisen als Möglichkeiten der Lebensgestaltung für alle zunehmend selbstverständlich werden.
Quellen:
HARTMANN, Jutta et al. (2007): Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
HARTMANN, Jutta et al. (2018): Heteronormativitätskritische Jugendbildung. Reflexionen am Beispiel eines museumspädagogischen Modellprojektes. Bielefeld: transcript.
PAUL, Barbara / Tietz, Lüder (Hg.) (2016): Queer as… – Kritische Heteronormativitätsforschung aus interdisziplinärer Perspektive. Bielefeld: transcript.
SCHMIDT, Friederike / Schondelmayer, Anne-Christin / Schröder, Ute B. (Hrsg.) (2015): Selbstbestimmung und Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Lebenswirklichkeiten, Forschungsergebnisse und Bildungsbausteine. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
WARNER, Michael (1991): Fear of a queer planet. Queer politics and social theory. In: Social Text (29). Durham: Duke University Press.