Wie ist es, als Kind nicht-akademisierter Eltern zu studieren?

Laut dem Deutschen Studentenwerk (2016) kommen 52% aller Student*innen aus Akademiker*innenfamilien und 48% aus Arbeiter*innenfamilien. Für die Hälfte aller Student*innen stellt das Hochschulstudium also einen Bildungsaufstieg dar. Der Hochschul-Bildungs-Report (2010) schreibt, dass von 100 Kindern aus Akademiker*innenfamilien 71 ein Studium beginnen. Aus Arbeiter*innenfamilien sind es von 100 Kindern nur 21. Wie es dann an der Uni weitergeht, ist nochmal eine andere Frage. Ob Menschen Zugang zur Uni haben, hat natürlich auch noch mit anderen Machtverhältnissen als dem Bildungshintergrund der Eltern und/oder Bezugspersonen zu tun.
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Studiert eine Person aus einer nicht-akademisierten Herkunftsfamilie, kann damit z.B. folgendes verknüpft sein:
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-wenig Verständnis (Skepsis/negative Reaktionen/kein Interesse) für die Lebenswelt an der Uni und/oder berufliche Möglichkeiten von Eltern oder Verwandten zu erfahren
-bestimmte „Fachbegriffe”, Konzepte oder Wissenschaftler*innen nicht zu kennen
-generell nicht die richtigen Wörter zu kennen bzw. Sprache zu sprechen oder mit einem Dialekt aufzufallen
-das Gefühl, sich immer weiter von der eigenen Herkunftsfamilie zu entfernen
-sich nicht zugehörig zu fühlen
-bzw. Angst davor, als nicht zugehörig „aufzufliegen”
-die Befürchtung, mensch hätte es nicht verdient, da zu sein („Imposter Syndrome“)
-das Gefühl, zwischen zwei Welten zu leben
-eingeschüchtert zu sein von der Anonymität an der Uni und/oder sich einsam zu fühlen
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Bei mir war das so, dass meine Eltern mich in meinen Entscheidungen bezüglich des Studiums immer unterstützt haben (wofür ich ihnen sehr dankbar bin), aber auch in Frage gestellt haben, welche Fächer ich studieren möchte und warum ich dafür so weit weg ziehen muss. Ich hab einen Studienkredit aufgenommen, weil die Berechnungen vom BAföG-Amt ein Witz waren. Als ich dann an der Uni war, war ich sehr verwundert über meine Kommiliton*innen: Am 1. Tag bonden zwei Student*innen in der Reihe vor mir darüber, dass beiden ein Elternteil von ihnen am Morgen „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne” aus einem Gedicht von Hermann Hesse zitiert hat. Ich denke daran, dass meine Mutter zwar Romane liest, mein Vater aber maximal 1 Buch (über Handball) in seinem Leben gelesen hat.
Eine der Erstis ist das Enkelkind von Jürgen Habermas (nicht, dass ich den damals kannte) und wieder eine andere die Tochter einer Professorin am Institut. Andere erzählen, wessen Eltern auch Professor*innen sind und später bei den Hausarbeiten helfen werden. Ich bin erstaunt, bei wie vielen beide Elternteile Ärzt*innen sind.
Ich erinnere mich an meine Schulzeit und dass ich 2-3 Mitschüler*innen kannte, deren Eltern studiert hatten. Wenn sie erzählten, worüber ihre Eltern so mit ihnen reden, war ich auch immer erstaunt und manchmal neidisch. Auf der Erstifahrt sagt ein Kommilitone: „Das wäre jetzt polemisch von mir, das zu sagen..”. Das wär was? Muss ich erstmal googlen als ich allein auf dem Zimmer bin.
Seitdem sind ein paar Jahre vergangen und irgendwie fühlt es sich doch an als wär das gestern gewesen. Nur dass ich jetzt auch eine Person bin, die Wörter verwendet, von denen andere noch nie gehört haben. Aber ist das wirklich eine Verbesserung?